Zeitarbeit in der Pflege – Kommt die Fremdenlegion?

Zeitarbeit in der Pflege – Kommt die Fremdenlegion?

Als ich diesen Artikel las Zeitarbeiter – resigniert und gehetzt“ auf Pflege online konnte ich nicht an mir halten. Er unterstützt die Mär von der bösen Zeitarbeit trotz seiner teils wagen Formulierungen, dass es ja für einzelne Akteure auch etwas Positives sei. Zusätzlich kommt er wissenschaftlich daher aber ohne jegliche Belege. Es werden Verknüpfungen von Erkenntnissen aus der Stressforschung mit Behauptungen aus dem Alltag von Zeitarbeitern verknüpft, sodass ein Bild geschaffen wird, dass Zeitarbeit eigentlich nicht besser ist, als normal auf Station zu arbeiten. Gleichzeitig könnte man der Autorin eine Intention unterstellen, dass sie eine emotionsgebundene Pflege für besser erachtet, da das Thema ihrer Dissertation einen Begriff der Weimarer Klassik enthält(siehe Goethe-Institut), der von der Gefühlsbildung handelt. Ich möchte hier betonen, dass Emotionen zur Pflege gehören, aber man muss als Pflege(fach)person nicht jeden Patienten lieben oder sich gar aufopfern, für dessen Wohl. Man kann auch professionell auf Bedürfnisse eingehen, ohne emotional zu sein.

Nun aber zurück zur Leiharbeit. Ich möchte an dieser Stelle einmal die Absätze des Artikels durchgehen und kurz beleuchten. Wohlbemerkt, diese Betrachtung ist durch meine Berliner Brille gefärbt und nicht mit wissenschaftlichen Belegen untermauert, da diese einfach fehlen. Das mit der Berliner Brille betone ich, da ich das Empfinden habe, dass der Berliner Zeitarbeitsmarkt doch ein anderer ist, als im Rest der Republik.

Beginnen wir nun:

„Geschmack von Söldnertum“

Die Autorin geht auf die bessere Bezahlung für die Arbeit ein und dass den Zeitarbeitern eine höhere Flexibilität des Arbeitsortes bei gleichzeitiger besserer Planbarkeit der Schichten geboten wird. In diesem einleitenden Absatz werden Fragen aufgestellt, die im Verlauf beantwortet werden sollen. Auffällig dabei: die Antwort auf die Frage nach dem Söldnertum muss der Leser selbst herleiten, denn es wird ohne Schlussfolgerung eine Antwort im späteren Verlauf präsentiert. Dabei ist die Antwort durch die Fragestellung bereits geklärt, da mit dem eher kritisch behafteten Wort „Söldner“ gearbeitet wird. Als Söldner wird zu meist jemand verstanden, der als Kämpfer für den Meistzahlenden und gewissenlos jeden Auftrag erfüllt und ethische Grenzen eher überschreiten würde als jemand anderes. Wird an dieser Stelle also schon vorab das Bild der gefühls- und gewissenslosen Pflegefachperson geschaffen.

„Zeitarbeit landen oft in problematischen Häusern“

Nun in Berlin ist mir bisher kein Haus bekannt, dass ohne Zeitarbeit oder alternativ mit Pool-Kräften auskommt. Selbst die Häuser mit Pool müssen auf Zeitarbeit zurückgreifen um Personalengpässe überbrücken zu können. Im Artikel wird jedoch auch auf unbeliebte Häuser einer Region angesprochen, dass diese häufiger Zeitarbeitende hätten. Im Berliner Kontext trifft das nur bedingt zu, denn die Zeitarbeitenden können Häuser angeben, in denen sie nicht arbeiten wollen, somit kämen die prekären Häuser in noch prekärere Situationen. Natürlich wird dann die Ursache nicht auf Leitungsebene gesucht, vielmehr wird dann auf noch billigere Firmen zurückgegriffen. Jedoch fällt mit dem Preis der Zeitarbeitsfirma auch die Qualität der entsendeten Arbeitnehmer*innen. Somit ist die Aussage der Autorin nur je nach Region zutreffend, bzw. impliziert auch, dass es doch scheinbar sehr viele gut arbeitende Kliniken und Häuser gäbe.

„Lonesome Cowboy“

Dies kommt wirklich auf die Station an. Werden die Zeitarbeitenden für Hiwizwecke missbraucht, kommt es dazu, dass sie sich allein fühlen. Die Folge ist, dass die Station/ das Haus weniger Zeitarbeitende bekommen wird, denn die Kollegen tauschen sich untereinander aus ebenso die Firmen. Aus persönlichen Gesprächen und den Erfahrungen meiner Frau und besten Freundes weiß ich, dass der Umgang mit den Kolleg*innen wichtig ist und ihnen somit auch die nötigen Ressourcen geboten werden kann. (Dies ersetzt natürlich keine wissenschaftliche Ausarbeitung) Ähnliche Erfahrungen berichten mir auch nicht so nah stehende Personen, sodass eine Vorverurteilung per se nicht gegeben sein sollte.

„Flucht in die Bedingungslosigkeit“

Wer flieht wohin? Das wird nicht klar. Der Arbeitgeber? Die Zeitarbeitsfirma? Die Arbeitnehmer? Die Arbeitnehmer können es eigentlich nicht sein, denn durch die Wahl zur Zeitarbeitsfirma haben sie sich ihre eigenen Bedingungen geschaffen. Zudem sind sie auf dem heutigen Arbeitsmarkt frei und können wählen. Eine Eigenschaft des Marktes, den viele Leitungen und Geschäftsführer scheinbar nicht verstanden haben, im Bezug auf Angestellte. Sie denken immer noch, dass sie die alleinige Wahl haben und präsentieren mehr Forderungen an den Interessenten, als Angebote. Zusätzlich sind die Angebote oft softe Faktoren, wie familiäres Arbeitsklima, welche eine schlechtere Bezahlung ausgleichen sollen. Dies ist für einige Kolleg*innen wichtig, viele möchten dies aber auch mit einer guten Bezahlung verbunden haben.

Dennoch die am Ende gestellte Vermutung ist tatsächlich eine nahe liegende.

„Die Vermutung liegt nahe, dass Pflegende in Zeitarbeitsfirmen sicherlich häufiger dort tätig werden müssen, wo andere Pflegende auf Grund von schlechten Arbeitsbedingungen gekündigt haben.“ – siehe Artikel-Link

„Verantwortungsgefühl nimmt ab“

Ja das ist eine bestehende Gefahr, liegt aber nicht an den guten Löhnen. Wer häufig auf Stationen arbeitet, wo man immer als Klassenfeind oder Verräter angesehen wird stumpft ab. Natürlich sind nicht immer die Stationen schuld, garantiert gibt es die Kollegen in den Firmen, denen alles egal ist, aber halt nicht nur. Wie groß dieser Anteil ist, müsste ermittelt werden. Mir selbst sind genügend Kolleg*innen begegnet, die sich intensiv für Patienten eingesetzt haben, die sich Zeit nahmen und nicht nach Schema F arbeiteten. Deshalb wäre ich mit solchen Unterstellungen immer vorsichtig. Vielleicht liegt diese Erfahrung, die doch häufig berichtet wird auch an dem Budget, was die Hausleitung für Zeitarbeit ausgeben will?

„Ständig müssen sich die ‚Gastarbeitenden’ neu erfinden“

Dieser Absatz wirkt sehr reflektiert und dennoch schafft er es die zeitarbeitenden Kolleg*innen in eine Opferrolle zu bringen. Durch die ständige Neuorientierung käme es ebenfalls zu Stress für die Kolleg*innen. Hierzu: Die Wahrscheinlichkeit häufiger im selben Haus oder gar auf der selben Station eingesetzt zu werden ist sehr hoch, dadurch lernt man die Prozesse kennen. Ebenfalls wird man ja nicht in die Zeitarbeit gezwungen. Ich selbst weiß für mich, dass ich das nicht könnte, aus den tatsächlich im Artikel genannten Gründen. Ich kann mir Zeitarbeit in Vollzeit nicht vorstellen, unteranderem, weil in Berlin ein System etabliert wurde, dass an eBay erinnert: Die Firmen (nicht alle) bieten auf einer Plattform ihre Mitarbeiter*innen zu den Mitarbeiterbezogenen Stundenlöhnen an. Die Firma mit dem günstigsten Angebot erhält den Zuschlag. Eine häufige Folge: es müssen vier Dienste an vier Tagen besetzt werden, Bsp. der Spätdienst, es kommen vier unterschiedliche Kolleg*innen auf die Station. Dies bedeutet tatsächlich Stress für alle Beteiligten. Und dennoch kommt es regelmäßig und häufig vor, dass die gleiche Person die selben Dienste in Folge besetzt.

„Zeitarbeiter kritisieren nicht“

Hat die Autorin schon einmal mit den Kolleg*innen gesprochen? Scheinbar nicht, denn es wird im Konjunktiv geschrieben. Ich spreche jedenfalls mit den Kolleg*innen und Frage auch nach den Empfindungen. Kritik kommt schon, positive wie negative. Auch die Zeitarbeitenden wissen wie ein Beschwerdemanagement funktioniert und sagen es den Patient*innen, ihren Firmen aber auch den Kolleg*innen. Und ja Zeitarbeit hält ein marodes System am laufen, aber die Kolleg*innen sind nicht die Schuldigen. Eher eine Politik, die den freien Markt im nicht marktfähigen Bereich Gesundheit haben wollte und (Express-?)Kapitalisten, die den maximalen Gewinn haben wollen.

„Was ist moralischer Stress?“

Hier ist nichts hinzuzufügen, denn genau so ist es. Für mich der beste Absatz des Artikels und komplett frei von Vermutungen.

Vielen Dank fürs Lesen

3 Kommentare

  1. Guter Beitrag.
    Kann versichern, dass es nicht nur in B so ist.
    Als ANÜler bin ich quasi Bundesweit unterwegs und empfinde es nicht als zusätzlichen Stress, mich neu einzufinden.Im Gegenteil, es hält mich eher kopfmässig frisch.
    Wenn Häuser oder Stationen zu heftig sind von den Arbeitsbedingungen her, kann ich die Einsätze dort ablehnen. Habe in 5J bisher 2Stationen, wo ich nicht mehr hingehen werde.
    Habe auch quasi ein Stammhaus, in dem ich 1x/J bin, meist für 3-6 M.
    Kritik äussere ich auch. Entweder Stltg, PDL oder Firma, die sich dann mit entsprechendem Haus in Verbindung setzt. Firma hat auch schon mal einen Vertrag für mehrere MA gekündigt, da die Situation dort unerträglich war.

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