Intensiv, Professionell, Entindividualisiert, Gefährlich

Ich bin nur einer von 82,8 Millionen Menschen in Deutschland, die nach jetzigem Stand der Dinge nicht in stärkstem Ausmaß vom von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgeschlagenen Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG, siehe Überschrift) betroffen wären.

Das ist zum Teil problematisch, denn ich wurde ausdrücklich gebeten, eine Stellungnahme aus Sicht eines Betroffenen zu verfassen.

Trotzdem werde ich dieser Bitte nachkommen, weil mich der Vorgängerentwurf betroffen hätte und der jetzt vorliegende Entwurf trotzdem besorgniserregende Auswirkungen auf mich haben könnte.

Du bist unhöflich, wenn du in einem fremden Blog als Gastautor schreibst und dir nicht mal die Mühe gibst, dich ordentlich vorzustellen. Aaaaa-ll right then.

Ich heiße Tim, 30 Jahre alt und ich versuche mich derzeit (mehr schlecht als recht) als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer großen deutschen Universität an einer Promotion. Von Geburt an habe ich eine schwere Form von Spinaler Muskelatrophie (SMA), konnte dementsprechend nie laufen oder gar frei sitzen.

01.09.2018, Bild: Radek Tracki

Nach mehreren lebensbedrohlichen Lungenentzündungen im Alter von 4 Jahren mussten sich die Ärzte im Kinderkrankenhaus zusammen mit meinen Eltern dazu entscheiden, mir einen Luftröhrenschnitt legen zu lassen (bin verdammt froh darüber) und seither werde ich dauerbeatmet. Seit 2008 habe ich persönliche 24-Stunden-Assistenz über die häusliche Krankenpflege nach SGB V, § 37.

Der vorherige RISG-Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium war ein Schandfleck und eine breit angelegte Verwüstung aller Möglichkeiten, die mir und uns dieses Land löblicherweise über viele Jahre geschaffen haben. Ich habe meine Gedanken zu diesem Gesetzentwurf kurz nach der Veröffentlichung in einem offenen Brief an Jens Spahn zusammengefasst, siehe folgenden Link falls er euch interessiert: https://patientenstimme-sma.de/stimmeblog/klare-worte-an-den-gesundheitsminister/

Jetzt wurde nach monatelangen Protesten, erfolgreichen Petitionen und medialer Aufmerksamkeit, die sich Herr Spahn bestimmt in dieser Form nicht gewünscht hat, das RISG überarbeitet und in IPReG umbenannt.

Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.

War zumindest meine allererste Reaktion auf diese Meldung. Nachdem ich den neuen Referentenentwurf durchgelesen habe, kann ich das zum Glück nicht ganz bestätigen, es wurde merklich versucht, die Gemüter von Betroffenen zu besänftigen und manche Ergänzungen sind definitiv zu begrüßen, so fair möchte ich gerne auch sein. Allen voran die unbefristete Ausweitung des Bestandsschutzes:

Versicherte, die am … [einfügen: Tag des Inkrafttretens] Leistungen der außerklinischen Intensivpflege in ihrem Haushalt, in der Familie oder sonst an einem geeigneten Ort bereits in Anspruch genommen haben, erhalten diese Leistung abweichend von Satz 1 und 2 weiterhin unverändert.

Referentenentwurf IPReG, Seite 7

Ich war hier zunächst etwas ratlos und misstrauisch, weil die Leistung „außerklinische Intensivpflege“ erst durch das IPReG selbst geschaffen werden soll, dementsprechend kann kein Mensch in Deutschland genau diese Leistungen heute schon erhalten. Allerdings scheint es hier auch um bisher äquivalente Leistungen innerhalb der häuslichen Krankenpflege zu gehen. Mit anderen Worten: Unabhängig davon, wie es euch heute geht, solange sich euer Zustand nach dem Inkrafttreten nicht weiter verschlechtert und euer Hilfebedarf sich dementsprechend erhöht, seid ihr safe.

Das ist strategisch zugegebenermaßen ganz clever. Und gleichzeitig perfide.

Denn diese Regelung schafft keine Betroffenen, denen Herr Spahn sich eventuell unangenehm und vielleicht sogar öffentlich stellen müsste. Wie in der Einleitung erwähnt, für jeden Einzelnen von uns ist es Stand heute ziemlich unwahrscheinlich bis beinahe ausgeschlossen, dass das aktuell vorliegende Gesetz uns die eigene Häuslichkeit wegnehmen würde. Trotzdem wird es nach Inkrafttreten einzelne Menschen genau auf diese Art treffen, für die es dann zu spät sein wird, sich zu wehren. Die vielleicht sogar gar nicht können, beispielsweise Komapatienten. Siehe Frau Sofas ursprünglichen Beitrag hierzu: https://frausofa.wordpress.com/2019/12/05/als-ja-chorea-huntington-nein/

Ich finde, dass wir (beinahe-)Betroffenen gewissermaßen in einer moralischen Verantwortung stehen, dafür zu kämpfen, dass der nächsten Generation zuallermindest die gleichen Möglichkeiten und Voraussetzungen geschaffen werden, wie wir sie selbst vorfanden. Bezieht sich auf den Schutz unseres Planeten, genauso aber auch auf Selbstbestimmungsrechte.

Das vom BMG gerne verwendete Wort „Bestandsschutz“ deutet bereits darauf hin, dass es in dem Gesetzentwurf Regelungen gibt, vor denen wir „geschützt“ werden müssen. Das mag als Besänftigung gedacht sein, klingt aber sehr beängstigend im Sinne der Chancengleichheit. Sollen Menschen denn zukünftig überhaupt noch gegen ihren Willen in vollstationäre Einrichtungen gezwugen werden? Die Antwort darauf lautet leider ja. Dies ist ganz fundamental nach wie vor ein Verstoß gegen § 19a UN-BRK:

…um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabean der Gemeinschaft zu erleichtern, indem sie unter anderem gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;

UN-Behindertenrechtskonvention, Artikel 19a.

Stattdessen sollen zukünftig diejenigen zu Hause gepflegt werden können, die „am sozialen Leben teilnehmen“. Wer definiert das? Es soll auch beatmete Menschen geben, die den ganzen Tag über nur Videospiele spielen oder Netflix gucken wollen und dabei noch Gras rauchen. Welch ein Horror für die CDU! Nicht jeder körperlich gesunde Mensch nimmt am sozialen Leben teil, trotzdem verwehren wir als Solidargemeinschaft diesem Menschen nicht die individuelle Lebensführung. Zumal in einem nicht-politischen Kontext viele meiner Erfahrung nach den Begriff „sozial“ gerne so definieren, wie er ihnen gerade in den Kram passt.

Auch wenn der Fall, dass einem Betroffenen zukünftig gegen seinen aktiven Willen der Verbleib in der eigenen Häuslichkeit unter dem neuen Gesetz verwehrt wird, zugegebenermaßen nicht häufig sein wird, bin ich wirklich sauer, dass dies an mehreren Stellen nicht ganz rigoros und pauschal ausgeschlossen wurde. Ganz im Gegenteil, es ist zu vermuten, dass dieser Fall trotzdem einkalkuliert worden ist:

Durch Verbesserungen der Qualität im Bereich der außerklinischen Intensivpflege verbunden mit einer zu erwartenden steigenden Leistungserbringung in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten können der gesetzlichen Krankenversicherung bei voller Jahreswirkung Einsparungen in einem niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrag entstehen.

Referentenentwurf IPReG, Seite 3

Eine steigende Leistungserbringung in Einrichtungen, höhere Qualitätsstandards und trotzdem noch Einsparungen in Millionenhöhe – wie geht das zusammen? Übrigens war im RISG noch von einem „mittleren dreistelligen Millionenbetrag“ die Rede, jetzt nur noch niedrig bis mittel, obwohl vor allen Dingen an einigen Stellen nur die Selbstbestimmungsrechte der Patienten herausgestellt wurden, wo es sich nicht mehr vermeiden ließ. Es wirkt beinahe so, als ob ursprünglich auf Kosten der Grundrechte einer kleinen Menschengruppe Geld gespart und gleichzeitig die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte in der Gesundheitspolitik kaschiert hätten werden sollen…

Ich persönlich habe Zuschriften von heute noch minderjährigen Beatmeten erhalten, die sich gefragt haben, ob die Mühe, die sie für Schule oder Ausbildung heute leisten, sich denn überhaupt noch lohnen würde. Falls einer von euch hier mitliest: Natürlich tut sie das, ob RISG oder IPReG oder welches Gesetz auch immer, diese Dinge sind recht leicht veränderlich wie wir alle kürzlich bestaunen konnten. Ihr habt alle Argumente für ein selbstbestimmtes Leben auf eurer Seite. Ich war und bin noch heute öfters kein Kämpfertyp und gelegentlich geneigt, zu resignieren, das ist aber alles andere als ein Grund zur Resignation. Trotzdem nehme ich dem Gesundheitsministerium übel, dass die Klarstellungen sich immer nur auf eingeschränkte Personengruppen bezogen haben und sich zu keinem Zeitpunkt radikal und ohne Ausnahme zur UN-Behindertenrechtskonvention bekannt wurde. eher im Gegenteil:

Zugleich gibt es keine Belege dafür, dass die medizinisch-pflegerische Versorgungsqualität im stationären Bereich geringer ist als in der eigenen Häuslichkeit der Versicherten.

Referentenentwurf IPReG, Seite 21

Wer mich in den letzten Monaten bei Twitter (@Melktim) verfolgt hat, weiß, dass ich mich über diesen Satz in Rage schreiben kann. Er ist schlichtweg eine Umkehrung der Beweislast par excellence. Könnt ihr beweisen, dass es euch zu Hause rein medizinisch besser geht als in einer Einrichtung, in einem Obdachlosenheim oder gar einer JVA? Wenn nicht, warum wehrt ihr euch dann dagegen, dorthin zu ziehen?

Na gut, aber vielleicht fragt ihr euch jetzt, was an dem Referentenentwurf mich denn nun persönlich beängstigt?

Für mich sind es vor allem zwei Dinge: Die Potenziale zur Beatmungsentwöhnung sowie die strikte Sicherung von Qualitätsstandards. Beides Dinge, die grundsätzlich zu begrüßen sind, aber leider im Einzelfall stark mit der Selbstbestimmung interferieren können.

Soweit keine qualifizierte Entwöhnung erfolgt oder diese während der ursprünglichen Indikation für stationäre Behandlung erfolglos bleibt, besteht das Risiko, dass die Patientinnen oder Patienten dauerhaft Beatmungspatienten bleiben, was sowohl hohe Kosten für die Versichertengemeinschaft als auch Einbußen der Lebensqualität der Betroffenen bedeutet.

Referentenentwurf IPReG, Seite 21

Das ist leider in vielen Fällen richtig und ist auch ein etwas minder gewichtiger Kritikpunkt. Aus Äußerungen von Herrn Spahn geht aber weiterhin hervor, dass er ein Beatmungsgerät für sich genommen als eine zusätzliche Behinderung ansieht anstatt als Hilfsmittel. Dies entspricht nicht dem aktuellen Stand der technischen Möglichkeiten und schon gar nicht den Potenzialen der zukünftigen Entwicklung. Beatmungsgeräte werden zunehmend handlicher und mobiler, zudem sicherer und besser zu bedienen und erlauben somit vielen Menschen, wie mir selbst, erst eine ausreichende Lebensqualität. Wenn es heute mit sehr hohem Aufwand noch möglich wäre, mich von der Beatmung zu entwöhnen, würde ich diesen Versuch ablehnen, zumal dadurch selbst bei erfolgreicher Entwöhnung die Gefahr lebensgefährlicher Lungenentzündungen für mich wieder zunehmen würde.

Der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege kann nur bei Leistungserbringern verwirklicht werden, die hierfür Verträge mit den Krankenkassen nach § 132j Absatz 5 abgeschlossen haben. Voraussetzung für den Vertragsabschluss ist unter anderem die Einhaltung von Qualitätskriterien, beispielsweise zu personellen Anforderungen an die pflegerische Versorgung oder strukturellen Anforderungen an Wohneinheiten nach § 132j Absatz 5 Nummer 1.

Referentenentwurf IPReG, Seite 30

Diese und vergleichbare Paragraphen wirken zwar harmlos, bereiten mir allerdings große Sorgen. Es steht zu befürchten, dass ich meine jetzigen Assistenten sowie den organisierenden Verein nicht behalten würde können, was ich mit Blick auf meine Selbstständigkeit und sogar meine medizinische Versorgungssituation sehr, sehr bedauern würde.

Ich arbeite meine Assistenten lange und gewissenhaft persönlich ein und natürlich trage ich die volle Verantwortung für die Einhaltung meiner eigenen Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Dies habe ich auch mehrfach schriftlich dokumentiert. Allerdings finde ich, dass gerade Patienten mit langjähriger Beatmungserfahrung die Möglichkeit haben sollten, auf eigene Verantwortung diese Standards selbst zu bestimmen.

In 26 Jahren Dauerbeatmung habe ich viele Veränderungen der Standards in der Intensivpflege durchlebt. Viele davon waren sogar widersprüchlich. Abklopfen oder Vibrieren zur Sekretmobilisierung? Oszillation bei der Expiration ja oder nein? Horizontale oder vertikale Bewegungen während des Absaugens? Beide Positionen waren zu einem Zeitpunkt meines Lebens die gängige Lehrmeinung. Ich habe beide Varianten ausprobiert und bin zu einem Schluss gekommen, was jeweils für mich am besten funktioniert. Da ich keine Person vom Fach bin, traue ich mich nicht, diese Erkenntnisse als Empfehlungen für andere Beatmete hin zu stellen. Sie gelten aber für mich. Bestimmt gibt es Menschen, die ein selbstbestimmtes Leben führen möchten, alle pflegerischen und medizinischen Fragen aber trotzdem alleine dem Fachpersonal überlassen möchten. Für mich ist diese Aussicht ehrlich gesagt sehr beängstigend.

Ich lege hiermit ein Geständnis ab: Ich lasse mich schon seit Jahren überbeatmen. Weil sich assistiert beatmeten zu lassen (ich bestimme selbst den Zeitpunkt meiner Atemzüge) angenehm ist und Energie spart, vor allem aber aus zwei Gründen:

  • Ich benutze keine Sprachkanüle und keinen Cuff, sondern nutze eine lange und tiefe Inspirationsphase für die Stimmbildung. Mit dieser Stimme schreibe ich u.a. auch gerade diesen Text. Für längere Vorträge usw. lasse ich mir gelegentlich sogar kurzzeitig den Atemdruck noch etwas höher einstellen, als er ohnehin schon ist.
  • Ein hoher Druck (gepaart mit gelegentlichem Einsatz eines Cough Assists) sorgt für eine frühe Sekretmobilisierung und beugt Atelektasen vor. Lungenentzündungen sind für mich per se lebensgefährlich und ich bin sehr glücklich darüber, seit beinahe 14 Jahren von genau diesen verschont geblieben zu sein.

Nachteile dieser hohen Beatmung: Entwöhnung ist praktisch ausgeschlossen und ich lebe permanent mit einem medizinisch zu niedrigen expiratorischen CO2-Wert. Bisher seit Jahrzehnten ohne ernstere Nebenwirkungen, von denen mir aber bewusst ist, dass sie eines Tages auftreten können.

Unter dem IPReG sollen nun alle Parameter unter strikter, professioneller Beobachtung stehen. Würde man mir in außerklinischer Intensivpflege meine Beatmung so, wie ich sie kenne und liebe, lassen oder auf Teufel komm raus versuchen, zulasten des allgemeinen Gesundheitszustandes sowie der Lebensqualität den CO2 irgendwie in den Normbereich zu bekommen?

Desweiteren gibt es noch die Vorzüge einer individuellen Versorgung, wenn auch gelegentlich auf eigenes Risiko:

05.09.2019, Bild: Sandra Verbeek

Ich war diesen Sommer mit zwei meiner persönlichen Assistenten im Urlaub und unter anderem im Mittelmeer schwimmen. An der Dauerbeatmung. Wäre das mit außerklinischer Intensivpflege, selbst am eigenen Wohnort, nach Vorgaben des IPReG verantwortbar gewesen? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht finden sich Intensivpflegekräfte, die das trotzdem mit mir gemacht hätten, aber ich möchte Verantwortung für meine eigenen Aktivitäten übernehmen, ohne dass wir uns alle dabei regelmäßig in einer rechtlichen Grauzone wiederfinden müssen. Abgesehen auch davon, dass sich der Großteil meiner Assistenten damit abfindet, dass ich mich zwar darum bemühe, aber in Urlauben wie diesem rein logistisch nicht in der Lage bin, alle arbeitsrechtlichen Vorgaben strikt einzuhalten. Mit mir fahren sie trotzdem immer wieder weg und das freiwillig.

Intensivpflegekräfte sind außerdem leider spärlich vorhanden, sodass mich leider das ungute Gefühl beschleicht, dass Menschen nicht direkt von Gesetzes wegen, aber aus Mangel an Personal praktisch in Intensivpflegeeinrichtungen gezwungen werden sollen. Besser wäre es allerdings, anstatt der sehr hohen fachlichen Qualifikation der Pflegekräfte eine 1:1-Versorgung verbindlich festzuschreiben. Die Tatsache, dass wiederholt argumentiert wird, die Versorgung dauerbeatmeter Patienten im ambulanten Bereich sei in den meisten Fällen mangelhaft, ist in vielen der zitierten Fälle nur nach Papierkriterien zutreffend und wird außerdem von vielen engagierten Pflegekräften im ambulanten Bereich, die mit ihrem Einsatz dauerbeatmeten Menschen eine hohe Lebensqualität ermöglichen, als verletzend empfunden.

Die Gefährdung in einer Intensivpflegeeinrichtung geht in meinem Fall und bestimmt auch in vielen anderen leider auch noch über das Selbstbestimmtheitsargument hinaus: Ich muss gelegentlich sehr akut und sehr schnell abgesaugt werden. Gewährleisten kann dies nur eine individuelle Betreuung, die selbst in Intensivpflege-Einrichtungen und -WGs nicht gegeben ist.

Nach KK-Leistungskatalog soll an diesen Orten eine Betreuungsquote von 1:3 nicht unterschritten werden (in der Praxis tut sie es leider häufig trotzdem). Was passiert, wenn einmal ein anderer Bewohner und ich gleichzeitig das Bedürfnis bekommen, akut abgesaugt zu werden? Gerade in der Nachtschicht ist regulär an all diesen Orten immer nur eine Fachkraft anwesend, die dazu überhaupt befugt ist.

Wenn ich einen Assistenten individuell und gewissenhaft eingearbeitet habe, benötigt er mangels Erfahrung für die Vorbereitung dieser Aktion vielleicht 30 Sekunden länger als eine erfahrene Intensivpflegefachkraft. Diese 30 Sekunden sind zu verschmerzen, allerdings eine Wartezeit von mindestens 5 Minuten, da die Intensivpflegefachkraft gerade mit einem anderen Bewohner beschäftigt war, ist es in manchen Fällen leider nicht. Drastischer als ich ausgedrückt hat sich hierzu unter anderem Matthias Vernaldi: https://patientenstimme-sma.de/stimmeblog/2019/08/16/fuer-mich-konkret-waere-eine-stationaere-unterbringung-noch-schneller-als-fuer-andere-toedlich/

Was ist also konkret zu tun? Das IPReG muss in folgenden Punkten angepasst werden:

  • Klare Bekennung zur UN-Behindertenrechtskonvention und zum Prinzip „ambulant vor stationär“ ohne qualifizierende Nebensätze, Ausnahmeregelungen und Einzelfallprüfungen.
  • Explizite Möglichkeit auch für dauerbeatmete Patienten, Leistungen der häuslichen Krankenpflege oder auch der außerklinischen Intensivpflege eigenverantwortlich und selbstbestimmt unter dem Modell der persönlichen Assistenz in Anspruch zu nehmen. Einzelne Pflege- sowie Dokumentationsstandards können hierbei auch, meinetwegen auch schriftlich, vom Patienten selbst festgelegt werden.

Bis zur Umsetzung beider ganz wesentlichen Punkte werde ich meinen Widerstand gegen den Gesetzentwurf nicht aufgeben können.

Herr Spahn, zum Abschluss dieses Monologs von unverschämter Länge möchte ich mich an Sie persönlich wenden. Es ist nicht so, als wären mir die positiven Veränderungen im Vergleich zum RISG nicht aufgefallen und ja, ich möchte diese Stellungnahme tatsächlich mit einer positiven Note abschließen:

Die Versorgung in der vertrauten eigenen Häuslichkeit und in der Nähe von langzeitig vertrauten Menschen kann so auch einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen leisten. In diesen Fällen kann den Versicherten nicht entgegengehalten werden, dass eine Versorgung an einem anderen Leistungsort wirtschaftlicher wäre.

Referentenentwurf IPReG, Seite 29

Danke!

Sie haben in Ihrer Amtszeit tatsächlich wiederholt bewiesen, dass Sie in der Lage sind, Menschen zuzuhören und Probleme zu diagnostizieren. Das kann ich eingestehen, obwohl ich kein besonderer Anhänger der aktuellen Bundesregierung sowie Ihrer Partei generell bin. Die vorgeschlagenen Maßnahmen und Lösungen werden in vielen Situationen, die Sie angehen, nur leider dem ursprünglichen Problem in keinster Weise gerecht.

Lassen Sie daher das IPReG ruhen, medial wird daraus jetzt ohnehin kein Gewinner mehr – oder denken Sie den oben zitierten Gedankengang konsequent zu Ende und verändern den Referentenentwurf so wie von mir gefordert.

Ich rechne, ähnlich wie zu meinem zuvor verlinkten offenen Brief, natürlich nicht mit einer persönlichen Antwort, würde mich aber dennoch über eine Diskussion freuen.

Und Sie geben an, Debatten grundsätzlich zu begrüßen.

Zeigen Sie es.

Ich werde allerdings nicht den Atem anhalten, um auf eine Reaktion zu warten.

Kann ich auch gar nicht, das Gerät triggert nämlich ohnehin automatisch alle 8 Sekunden.

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